Recht – Auch, wenn man es noch nicht so recht wahrhaben will: Der Winter ist nicht weit. Das ist eine gute Nachricht für alle, denen lange Winterspaziergänge Freude machen oder die sich gern mit Tee und Buch in den Sessel kuscheln. Eine relativ bescheidene Nachricht aber ist das für alle, denen winterliche Räum- und Streupflichten übertragen wurden.
Das können Mieter sein, denen der Winterdienst in den Mietvertrag geschrieben wurde. Das sind auf jeden Fall aber Hausbesitzer, an deren Grundstück ein Gehweg grenzt und alle, über deren Grundstücke öffentliche Wege führen. Für sie heißt es ab sofort, das Thermometer täglich im Blick zu behalten, den Wetterbericht zu verfolgen und bei Schnee- beziehungsweise Glättewarnung in aller Herrgottsfrüh mit Schneeschaufel, Streusalz und Split auszurücken. Diese Verpflichtung hat schon aus so manchem Langschläfer einen saisonalen Frühaufsteher gemacht – auch aus Angst vor Konsequenzen. Anlieger können für Unfälle und Schäden haften müssen, die sich durch ihre Nachlässigkeit ergeben.
Wer kann, tut sich mit seinen Nachbarn zusammen und beauftragt einen Winterdienstservice. Nicht wenige Gärtner, Hausmeisterbetriebe oder auch kommunale Unternehmen kümmern sich gewerblich um die Verkehrssicherheit von Straßen und Gehwegen in einem Viertel. Je mehr mitmachen, desto weniger trifft’s den einzelnen. Schließlich müssen An- und Abfahrt gewöhnlich nur anteilig bezahlt werden. Dass allerdings auch dieses Modell Tücken haben kann, zeigt das Ergebnis einer Gerichtsverhandlung, die das Kammergericht (KG) Berlin beschäftigt hat. Es lohnt sich, einen genaueren Blick darauf zu werfen: Aus der Urteilsbegründung geht klar hervor, welche Pflichten ein Winterdienst genau umfasst.
In der Verhandlung ging es um eine Frau, die gegen Mittag wegen Glatteis auf dem Gelände einer Klinik stürzte und sich dabei verletzte. Der Träger der Klinik hatte die Verkehrssicherungspflicht während der Winterdienstsaison an ein Unternehmen übertragen. Wie sich herausstellte, waren die Wege auf dem Klinik-Gelände an dem Tag von circa 9 Uhr an weitgehend – also über längere Strecken hinweg – vereist und daher sehr rutschig. Angesichts dieser Verhältnisse hätte der Winterdienst spätestens gegen 10 Uhr streuen müssen. Der Dienstleister führte an, dass an diesem Tag zu dieser Zeit keine allgemeine Glätte in der Stadt herrschte. Ein Umstand, der für den vorliegenden Fall unerheblich war, wie die Richter entschieden. Der Frau wurde ein Schmerzensgeld von 5000 Euro zugesprochen.
In der Begründung dazu hieß es: „Eine winterliche Räum- und Streupflicht kann nicht nur bei allgemeiner Glätte, sondern auch bei einer ernsthaften lokalen Glättegefahr bestehen.“ Ob eine solche bestehe, so das Gericht, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. „Dabei kommt es stets auf den Pflichtenmaßstab an, der an den primär Verkehrssicherungspflichtigen zu stellen ist, welcher den Verkehr auf der in Rede stehenden Fläche eröffnet hat. Dieser Maßstab gilt auch für einen Dritten, auf den der primär Verkehrssicherungspflichtige die Räum- und Streupflicht übertragen hat.“ Kurz gesagt: Wer einem Unternehmen die Verkehrssicherungspflicht überträgt, hat sie komplett übertragen.
Bei der Prüfung der Frage, ob lokale Glättegefahr besteht, hätte sich der Dienstleister vor Ort erkundigen müssen. Es sei nachvollziehbar, dass ein Winterdienst seine Mitarbeiter üblicherweise nur an Tagen mit allgemeiner Glätte zu Räum- und Streudiensten schicke, so das Gericht. Von der Streupflicht vor Ort entlaste ihn dies aber nicht. Konkret hätte der Dienstleister also vor Ort nachschauen müssen, ob gestreut werden muss. Das Gericht machte darauf aufmerksam, dass bei Glatteisunfällen immer auch ein Mitverschulden in Betracht kommt. Ein Geschädigter, der beispielsweise eine glatte Stelle erkannt hat und ihr hätte ausweichen können, trägt bei einem Sturz eine Teilschuld. Im speziellen Fall hatte die Frau das Glatteis zwar gesehen, allerdings hatte sie keine Möglichkeit, einen anderen Weg zu nehmen und sie zu umgehen.